«Zukunft kommt von Zuversicht»

In jenem Jahr annektierte Russland die Krim und löste in der Ostukraine einen Krieg aus. Dann führte der Bürgerkrieg in Syrien zu einer Flüchtlingskrise in Europa, der Brexit kam zustande, Donald Trump entfachte als amerikanischer Präsident Handelskriege, der Wettlauf zwischen den Grossmächten USA und China verschärfte sich, die Pandemie lähmte die gesamte Welt, globale Lieferketten wurden gesprengt, die Infationsraten stiegen stark an, Russland begann die Grossinvasion der Ukraine, und der Nahe Osten steht seit dem Terrorangrif der Hamas wieder einmal am Abgrund.
Es lässt sich nicht leugnen, dass in den vergangenen zehn Jahren einiges passiert ist. Der Begrif der Multikrise hat sich breitgemacht. Liechtenstein ist dabei keine Insel der Seligen geblieben, auch hier sind die Auswirkungen des Zeitgeists spürbar. Die Sorge um die Zukunft nimmt zu, die Unsicherheit steigt. Trift nun der Spruch zu, dass früher alles besser war? Liberale Geister haben vielmehr den Optimismus verinnerlicht, für sie bedeutet Zukunft Zuversicht. Angesichts des Krisengeredes verblassen jedoch die Verbesserungen. Wie ist es jedoch Liechtenstein in den vergangenen zehn Jahren ergangen, wenn man einen Blick ohne Scheuklappen wagt?
Das Ziel sollte es sein, die Lebensqualität zu steigern. Ein umfassender Massstab dafür ist die Entwicklung der Lebenserwartung. «Die Jugend ist ein Geschenk der Natur, das Alter ist aber ein Kunstwerk», schrieb der polnische Aphoristiker Stanisław Jerzy Lec. Das heisst auch, dass eine höhere Lebenserwartung nicht einfach so passiert. Für ein längeres Leben müssen die Menschen gesundheitlich gut versorgt sein, sie müssen zufrieden sein, und die Wirtschaft muss sich stark entwickeln. Die gute Nachricht: Von 2013 bis 2023 ist die Lebenserwartung der Frauen bei Geburt um drei Jahre auf 84,6 gestiegen. Bei den Männern fel der Zuwachs mit nur 1,7 Jahre auf 82,4 weniger stark aus. Der langjährige Trend einer steigenden Lebenserwartung ist kurz durch die Corona-Pandemie unterbrochen worden.
Aber auch andere Masse haben sich in eine positive Richtung verändert: Der Energieverbrauch pro Kopf ist in Liechtenstein in der Zeit von 2013 bis 2023 zurückgegangen. Ebenso wurde insgesamt weniger Energie genutzt – trotz Zunahme der Bevölkerung und trotz Wirt schaftswachstum. Die Staatsquote, die die ge samten Ausgaben des Staats im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung betrachtet, lag im Jahr 2022 bei 21,4 Prozent. In Europa hat nur Irland eine geringere Staatsquote. Über die Jahre ist der Liechtensteiner Staat ähnlich schlank geblieben – auch trotz der Corona-Pandemie. In den vergangenen Jahren hat zudem die Erwerbsquote der Frauen zugenommen, diejenige der Männer ist gleich geblieben. Liechtenstein schöpft dadurch das Potenzial der Frauen besser aus.
Manche Entwicklungen sind zwiespältig. Ein ständiges Aufregerthema ist der Verkehr: Ein Blick auf die Statistik zum durchschnittlichen Tagesverkehr zeigt jedoch, dass sich die Situation in den vergangenen Jahren nicht verschärft hat. Vielmehr sind während der Corona-Pandemie deutlich weniger Autos über die Strassen gerollt. Das Problem ist jedoch nicht der durchschnittliche Tagesverkehr, sondern es sind die Autoschlangen zu den Stosszeiten. Das Verkehrsaufkommen ist auch eng mit der Zahl der Grenzgänger verbunden. Liechtensteins Unternehmen sind so attraktiv, dass sie viele Pendler anziehen.
Die Wirtschaft des Landes ist in den vergangenen Jahren vor allem durch den Ausbau der Beschäftigung gewachsen. Es ist ein Wachstum in die Breite. Die Produktivität hingegen, die Wirtschaftsleistung pro Arbeitsstunde oder pro Erwerbsperson, tritt in Liechtenstein seit längerer Zeit auf der Stelle. Für ein nachhaltiges Wachstum braucht es aber mehr Produktivität. Das Fazit lautet: Die Zahlen zeigen, dass das Land in vielem besser dasteht als noch vor zehn Jahren. Es gibt aber noch genug zu tun, um Liechtenstein zukunftssicher zu machen. Zukunft kommt tatsächlich von Zuversicht, aber auch von Zupacken.
Gerald Hosp, Geschäftsführer Stiftung Zukunft.li