Steigende Gesundheitskosten: Ist der Leidensdruck zu wenig gross?
Die Krankenkassenprämien belasten das Haushaltsbudget, das ist unbestritten. In Liechtenstein ist diese Belastung aber deutlich geringer als in der benachbarten Schweiz. Schliesslich werden in Liechtenstein die Kosten mit einem Staatsbeitrag an die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) abgefedert, die Arbeitgeber übernehmen die Hälfte der OKP-Prämie ihrer Angestellten, Kinder zahlen keine Prämie, Jugendliche nur die Hälfte. Darüber hinaus sind Kinder und Jugendliche, Personen im Rentenalter und Personen mit bestimmten chronischen Erkrankungen unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Haushalte ganz oder teilweise von der Kostenbeteiligung befreit. Die liechtensteinische Politik versucht also mit verschiedenen Massnahmen, die Haushalte zu entlasten. Für Härtefälle gibt es zudem noch Prämienverbilligungen.
Eine Folge dieser Politik könnte allerdings sein, dass im Vergleich zu den Schweizer Kantonen ein deutlich höherer Anteil der Versicherten in Liechtenstein das Modell mit Grundfranchise wählt und damit auf Prämienrabatte verzichtet, die bei der Wahl von höheren Franchisen gewährt werden. Damit wird jedoch auch ein wichtiges Anreizinstrument minimiert. Denn Kostenbeteiligungssysteme dienen auch dazu, die Versicherten anzuregen, medizinische Leistungen mit Bedacht in Anspruch zu nehmen. Ist der Arztbesuch «gratis» fällt diese Anreizwirkung weg und es werden mehr Leistungen in Anspruch genommen, die nicht unbedingt notwendig sind, wie Studien belegen. «Unter 21 gibt es keine Kostenbeteiligung, wir haben darüber abgestimmt, dass wir Personen über 64 ebenfalls von den Franchisen befreien, damit haben wir einen grossen Teil der Bevölkerung, bei dem dieser verhaltensökonomische Anreiz nicht wirkt», bemängelt Thomas Lorenz. Er empfiehlt, die Wirkung von Beteiligungssystemen gezielter zu nutzen. Anstatt ganze Bevölkerungsgruppen von der Franchise zu befreien, sollte das Prämienverbilligungssystem verbessert werden. Dadurch könnten zielgerichtet jene entlastet werden, die es wirklich nötig haben.
Managed-Care-Modelle könnten Effizienz steigern
Auch andere Lösungen könnten dazu beitragen das Kostenwachstum zu bremsen und die Qualität der Versorgung aufrechtzuerhalten. Ein Ansatz, der in der Schweiz bereits weit verbreitet ist, sind Managed-Care-Modelle. Dabei schränken sich die Versicherten freiwillig bei der Arztwahl ein und profitieren im Gegenzug von Prämienverbilligungen. In diesen Modellen sind Managed-Care-Organisationen (HMO) oder Hausärzte die zentralen Akteure. Sie dienen als erste Anlaufstelle und steuern die Überweisungen zu Spezialisten und anderen medizinischen Dienstleistern. Die Krankenversicherer unterstützen diese Modelle durch finanzielle Anreize und Verträge mit den Leistungserbringern, die auf Qualität, Effizienz und Patientenzufriedenheit ausgerichtet sind. Ziel ist es, durch diese Steuerung die Behandlung effizienter zu gestalten und die Kosten im Griff zu behalten.
In Liechtenstein gibt es bislang keine etablierten Managed-Care-Modelle. Gründe hierfür sind unter anderem die kleine Marktgrösse und die komplexe regulatorische Umgebung. Versorgungsverträge können derzeit nur mit Leistungserbringern innerhalb der Bedarfsplanung abgeschlossen werden. Thomas Lorenz empfiehlt, bei Manged-Care-Modellen den Kreis der möglichen Leistungserbringer für solche ausserhalb der Bedarfsplanung zu öffnen. So wären auch Verträge mit bestehenden Versorgungsnetzen in der benachbarten Schweiz möglich. Davon profitieren würden nicht nur die Versicherten, die sich für ein solches Modell entscheiden, sondern durch die insgesamt geringeren Kosten letztendlich alle Prämienzahlenden. Fabienne Hasler kann diesem Vorschlag durchaus etwas abgewinnen, auch wenn sie betont, dass die Hürden bis zur Einführung noch gross sind. Ausserdem ist sie unsicher, ob solche Modelle angenommen würden. Schliesslich zeige sich, dass der Anteil der Versicherten, die sich mit einer Zusatzversicherung weltweit eine freie Arztwahl gönnen, von Jahr zu Jahr grösser werde.
In Liechtenstein scheint man sich also eher weniger als mehr einschränken zu wollen und nimmt dafür die Mehrkosten in Kauf. Ein Vergleich mit den Nachbarkantonen St. Gallen und Graubünden zeigt, dass in Liechtenstein die Gesundheitskosten um 20 Prozent höher sind und die Versicherten hierzulande 10 Prozent häufiger zum Arzt gehen. Wie stark dieser Unterschied mit den ökonomischen Anreizen zusammenhängt, lässt sich schwer empirisch belegen. Für Thomas Lorenz gibt es für diesen Kostenunterschied mehrere Erklärungsgründe, aber die fehlenden ökonomischen Anreize sind sicher einer davon. «Der Unterschied ist hausgemacht von uns Versicherten und teileweise auch von unseren Leistungserbringern. Denn es gibt sonst keinen Systemunterschied zur Schweiz, der diesen Umstand erklären würde.»