Raus aus dem Lockdown
Erfreuliche «Corona-News»
Covid-19 haben wir erst dann im Griff, wenn eine Impfung oder neue Medikamente zur Verfügung stehen oder wenn der Durchseuchungsgrad 60 bis 70 Prozent erreicht hat. Der derzeitige Ausnahmezustand hat in erster Linie das Ziel die Ansteckungskurve abzuflachen, d.h. die Verbreitung des Virus zu verlangsamen und die Neuansteckungen zu bremsen. Denn es besteht oder bestand die Angst, von einer Lawine von schwer Erkrankten überrollt zu werden und dadurch die Pflegekapazitäten der Spitäler und das Gesundheitssystem zu überfordern. Dieses Ziel ist aktuell erreicht. In der Schweiz nimmt die Zahl der an Covid-19 Erkrankten seit dem Höhepunkt vom 23. März ab. Dabei ist zu beachten, dass die Zahlen der Neuinfektionen stark davon abhängen, wie viel getestet wird. Erfreulich steigt die Zahl der Genesenen: rund 30 Prozent der bestätigten Corona-Fälle sind wieder gesund. Stabilisiert hat sich auch die Zahl der täglichen Todesfälle. In den meisten Kantonen ist auch die Zahl der Personen, die medizinische Betreuung benötigen sowie die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen nicht weiter angestiegen. Keine Intensivpflegestation ist voll ausgelastet und auch Beatmungsgeräte stehen noch genügend bereit. Also Entwarnung! Oder doch nur die Ruhe vor dem Sturm?
Ein Drittel der Arbeitskräfte ist in Kurzarbeit
Wer hätte das gedacht: Die Corona-Krise führt gegenwärtig auch im Gesundheitswesen zur Kurzarbeit. Mehr als 20’000 Ärzte und Pflegende sind davon betroffen. Seit der Bundesrat beschlossen hat, dass nur noch notfallmässige Operationen durchgeführt werden dürfen, geht vielen Spitälern und Praxen die Arbeit aus. Auch das Kantonsspital Chur sowie das Spital Thurgau haben Kurzarbeit eingeführt. Bei einigen Spitälern ist die Kapazitätsauslastung unter 30 Prozent gefallen und manche Spitäler haben bereits Liquiditätsengpässe. Die Spitäler des Kantons St.Gallen haben zwar weniger Patienten als sonst, aber keine Kurzarbeit. Die Glättung der Ansteckungskurve bzw. die Verzögerungsstrategie ist eben nicht gratis zu haben. Je flacher die Kurve, desto länger dauert der Kampf gegen das Virus. Je stärker die Kurve geglättet wird, desto tiefer ist die Kapazitätsauslastung in den Spitälern, desto tiefer fällt die Wirtschaft in die Krise und desto länger dauert sie. Je flacher die Kurve, desto mehr verzögert sich die Erreichung des Durchseuchungsgrades von 60 bis 70 Prozent. Jede verhinderte Ansteckung ist zugleich eine verhinderte Immunisierung.
Die Nebenwirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft werden von Woche zu Woche gravierender und sichtbarer. Täglich werden in der Schweiz 1'600 Arbeitskräfte arbeitslos und über 1.5 Mio. sind in Kurzarbeit. Damit ist ein Drittel der Arbeitskräfte in der Schweiz von Kurzarbeit betroffen. In Liechtenstein ist die Anzahl betroffener Arbeitnehmer bis anhin nicht öffentlich bekannt, die Regierung schätzt jedoch die Höhe der Kurzarbeitsentschädigung auf Basis der aktuellen Anmeldungen auf 17 Mio. Franken pro Monat. Gemäss einer aktuellen Umfrage der Industrie- und Handelskammern St.Gallen-Appenzell und Thurgau bei Ostschweizer Unternehmen rechnet die Hälfte der Unternehmer für 2020 mit einem Umsatzrückgang von 20 bis 40 Prozent, ein Drittel erwartet einen Einbruch von 50 Prozent. Es ist nicht zu übersehen, diese Krise nimmt bisher unbekannte Dimensionen an, sei es bezüglich Kurzarbeit, Wertschöpfungsverlust, dem Ausmass an betroffenen Menschen und Unternehmen oder der gewährten Hilfspakete. Nicht nur die rein wirtschaftlichen Schäden sind gross, sondern auch jene für die Gesundheit, die Gesellschaft und die Demokratie.
Zehn Erkenntnisse und Empfehlungen
In der Zwischenzeit wissen wir auch, dass die Erkrankung bei rund 80 Prozent mild ausfällt. Die grösste Risikogruppe sind Personen über 65 und solche mit gesundheitlichen Vorbelastungen. Der Altersmedian der verstorbenen Personen liegt bei 83 Jahren. 97 Prozent der Verstobenen litten an Vorerkrankungen. Selbst diese Statistiken sind nicht zu 100 Prozent «sicher». Sicher ist nur, dass wir Menschen sterblich sind, zu 100 Prozent. Deshalb muss die Frage gestellt werden: Ist die bisher gewählte Strategie noch sinnvoll und verhältnismässig? Gemäss unserer Beurteilung können folgende Erkenntnisse gewonnen und Empfehlungen gegeben werden.
Erstens: Ein Verzögern der Infektionen und der Immunisierung sowie die Verschiebung von Operationen, die zu Kurzarbeit im Gesundheitswesen führen, ist keine optimale Strategie. Denn Kurzarbeit in Spitälern und leerstehende Spitalbetten sind eine Verschwendung von Ressourcen. Dazu ist es gekommen, weil die vor einigen Wochen getroffenen Annahmen nicht so eingetroffen sind, wie erwartet wurde.
Zweitens: Testen, testen und nochmals testen ist angesagt. Grossflächige Tests schliessen Wissenslücken, sie helfen u.a. die Dynamik und die Gefährlichkeit zu verstehen. Dank ihnen können Gesunde, Infizierte und Immune erkannt werden. Nur schon die Ziehung einer repräsentativen Stichprobe würde helfen, die Risiken für unterschiedliche Gruppen zu verstehen.
Drittens: Die Risikogruppen sind zu schützen und den Gesunden und Immunen ist unter definierten Schutzmassnahmen die Freiheit zum Arbeiten und zur Gestaltung ihrer Freizeit zurückzugeben. Die Methode der ausschliesslichen Isolation der Risikogruppen ist aus mehreren Gründen und insbesondere aufgrund ihrer hohen Zahl sehr anspruchsvoll. Näher zu prüfen ist die vom Epidemiologen Marcel Salathé vorgeschlagene Methode der «Test-Isolate-Quarantine». Jeder, der nur leichte Symptome hat, muss getestet werden. Infizierte müssen in Quarantäne. Zudem müssen sämtliche Personen mit denen der Patient Kontakt hatte, gefunden werden, in Quarantäne gehen und getestet werden. Dabei können Smartphone-Apps zum Aufspüren ein wirksames Instrument im Kampf gegen die Pandemie sein – vorausgesetzt, es gelten klare Regeln.
Viertens: Die Strategie der gelenkten Immunisierung ist sehr gut, aber kaum praktikabel. Eine gute Corona-Politik muss die Risikogruppen schützen und dafür sorgen, dass die Durchseuchung mit möglichst kleinen Schäden erfolgt. Eine gelenkte Infizierung (bzw. Immunisierung) erfüllt diese Anforderung wohl besser als alle Alternativen. Aber die konkrete Umsetzung stehen zwei grosse Hürden im Weg: Gibt es genügend Menschen, die sich freiwillig infizieren lassen? Kann die Regierung einer Strategie zustimmen, bei welcher Gesunde bewusst mit einem Virus infiziert werden, welches auch zu schwerer Krankheit führen kann?
Fünftens: Die Zeit für einen Plan zum Ausstieg aus dem Lockdown ist gekommen. Allerdings wissen wir wegen fehlender Tests noch immer nicht, wie viele immun sind. Aber die Entwicklung der Infizierten und Geheilten lässt hoffen, dass ein Ausstieg aus dem Lockdown nicht zu übermässig vielen Neuinfektionen und keiner Überbeanspruchung der Spitäler führen wird. Für einen schnellen Ausstieg sprechen auch die hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten, welche der Lockdown verursacht.
Sechstens: Notwendig ist eine offene Kommunikation der Regierung. Die Isolation ist für Menschen leichter ertragbar, wenn ein Ende angekündigt wird. Auch die Wirtschaft braucht einen Zeitplan und Informationen über die schrittweise Exit-Strategie. Eine offene Kommunikation beinhaltet Informationen über die Kriterien, die erfüllt sein müssen, bis die Regierung den Exit einleitet und in welchen Schritten der Wiedereinstieg erfolgt.
Siebtens: Die Schulen können wieder geöffnet werden. Die genauen Bedingungen (z.B. Halbtags oder in Kleingruppen) und die einzuhaltenden Schutzmassnahmen sind noch zu definieren. Einer der wenigen guten Nachrichten ist nämlich, dass das Virus Kinder kaum erkranken lässt. Sie stecken sich zwar an, aber zeigen kaum Symptome. Weil sie weniger Symptome haben, sind sie vermutlich auch weniger ansteckend. Vorläufige Daten lassen annehmen, dass Kinder sich vor allem bei Erwachsenen anstecken, Erwachsene aber umgekehrt eher weniger bei Kindern. Natürlich sollen infizierte Kinder nicht in die Schule gehen, aber die Gesunden und Immunen sind in der Schule gut aufgehoben.
Achtens: Mit entsprechenden Hygiene- und Schutzvorschriften können Schritt für Schritt verschiedene Geschäfte wieder geöffnet werden. Der Spielraum dafür ist gegeben. Denn wie man weiss, erfolgt die Übertragung primär durch Tröpfchen. Die Schutzmassnahmen dagegen sind bekannt. Wir können aus den Erfahrungen von Dänemark, Österreich und Tschechien lernen, die bereits nach Ostern den langsamen Weg in Richtung Normalität beginnen.
Neuntens: Für Unternehmen, die von der Politik gänzlich oder zum überwiegenden Teil zwangsgeschlossen wurden, hat sie auch eine grössere Verantwortung. Ähnlich wie die Arbeitskosten ist zu prüfen, ob auch Kapitalkosten wie Mieten oder Kreditzinsen bei einem staatlich verordneten Stillstand zurückerstattet werden sollten. Die Liquiditäts- und Überbrückungskredite können ansonsten zu einer Überschuldung der Unternehmen führen, weshalb ihnen das Geld für Investitionen fehlt. Darunter leiden wiederum die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum. Dabei ist offensichtlich, dass die Abgrenzung zu von der Schliessung indirekt ebenfalls stark betroffenen Branchen sehr schwierig ist und auch bei diesem Ansatz in erster Linie solide Unternehmen mit erfolgreichen Geschäftsmodellen Priorität haben müssen.
Zehntens: Klassische Konjunkturprogramme sind aktuell wenig wirksam. Sie brauchen in der Regel viel Zeit zur Umsetzung und kommen deshalb oft zu spät. Hingegen sind die Kurzarbeit sowie Liquiditäts- und Überbrückungskredite sinnvoll, weil sie schnell wirksam und mehrheitlich zielgerichtet sind. Aber man lasse sich nicht täuschen: Der Staat selbst hat nur Geld für Hilfspakete oder Konjunkturprogramme, wenn er es den Bürgern vorher weggenommen hat. Der Staat ist also auf Menschen und Unternehmen angewiesen, die arbeiten, produzieren, Geld verdienen und Steuern bezahlen.