Liechtensteins Produktivität sinkt
Eine produktivere Wirtschaft generiert mehr Einkommen, erleichtert den Auf- und Ausbau des Sozialsystems und ermöglicht es uns, mehr Zeit für andere Dinge im Leben aufzuwenden, sei es für Hobbys, Familie, Freunde oder für die Gesellschaft. Da höhere Produktivität oft mit Innovationen verbunden ist, steigert sie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf den globalen Märkten. Gelingt uns eine produktivere Nutzung der natürlichen Ressourcen, trägt dies zur Nachhaltigkeit bei und reduziert die negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Die zweite direkte Quelle für wirtschaftliches Wachstum sind die geleisteten Arbeitsstunden. Der Anstieg von Arbeitsstunden in einer Volkswirtschaft ist dabei in aller Regel auf einen Anstieg der Anzahl der Beschäftigten zurückzuführen und nicht darauf, dass die einzelnen Beschäftigten länger arbeiten. Bei einem rein beschäftigungsinduzierten Wachstum erhöht sich zwar das Gesamteinkommen, aber nicht das Einkommen pro Beschäftigten.
Aus welchen Quellen entspringt das Wirtschaftswachstum in Liechtenstein? Die liechtensteinische Wirtschaft ist in den letzten Jahren nur dank einem Ausbau der Beschäftigung gewachsen. Von 2010 bis 2022 hat die Beschäftigung in Vollzeitäquivalenten um 20 Prozent zugenommen. Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) ist aber nur um rund 10 Prozent angestiegen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Produktivität in dieser Zeitspanne gesunken ist. Im Jahr 2010 betrug die Produktivität - das BIP pro Beschäftigten – 193'000 Franken, 2022 dürfte sie noch bei rund 178'000 Franken gelegen haben. Denn trotz prognostiziertem Rückgang des BIP im Jahr 2022 nahm die Beschäftigung um weitere 2,8 Prozent zu. Aus den statistischen Daten lassen sich folgende Schlüsse ziehen. Erstens: Das Wirtschaftswachstum in Liechtenstein ist vor allem dem Anstieg der Arbeitskräfte aus dem Ausland zu verdanken. Über 87 Prozent des Beschäftigungszuwachses (in Vollzeitäquivalenten) wurde nämlich seit 2010 durch Zupendelnde abgedeckt. Zweitens: Ausschlaggebend für das abgeschwächte Wachstum der liechtensteinischen Volkswirtschaft ist der Rückgang der Produktivität. Drittens: Angesichts des demografisch bedingten Schrumpfens des Arbeitskräftepotenzials ist eine künftige Steigerung der Produktivität notwendiger denn je. Ohne eine Wende bei der Produktivitätsentwicklung stagnieren zudem die Spielräume für Lohnerhöhungen, für Arbeitszeitverkürzungen und für die Transformation zur Klimaneutralität.
Wie konnte es zu diesem Rückgang in der Produktivität kommen? Die Antwort wird die Ökonomen noch länger beschäftigen. Mögliche Erklärungen sind unter anderen die Verlagerung der Güterproduktion ins Ausland, strukturelle Verschiebungen in unterdurchschnittlich produktive Branchen und der gestiegene Margendruck im Finanzsektor.
Peter Eisenhut, Ökonom und Präsident der Stiftung Zukunft.li