Kann man eher auf ein Smartphone oder auf ein Wasserklosett verzichten? Und: Was hat diese Frage mit der Künstlichen Intelligenz zu tun?
Und tatsächlich: Es ist schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass sich die Welt in einer beispiellosen Ära der Erfindungen und Innovationen befindet. Zu Molekularbiologie, selbstfahrenden Autos, neuartigen Impfstoffen und Quantencomputer kommt nun noch die generative künstliche Intelligenz (KI) hinzu. KI wird gleichzeitig bewundert und gefürchtet, kalt lässt sie niemanden.
Technischer Fortschritt ist aber kein Selbstzweck, er hilft vielmehr der Arbeitsproduktivität und dem Wirtschaftswachstum auf die Sprünge. Ein stärkeres Wachstum der Produktivität führt in der Regel zu höheren Pro-Kopf-Einkommen und Lebensstandards. Das ist nicht nur graue Theorie: Seit der industriellen Revolution hat der Wohlstand der Menschheit rasant zugenommen.
Daron Acemoglu, der dieses Jahr den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat, zeigt sich aber skeptisch gegenüber dem KI-Hype. Er schätzt, dass KI in der kommenden Dekade insgesamt ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 1 bis 1,5 Prozentpunkten auslösen wird. Dies ist nicht vernachlässigbar, aber auch nicht die grosse Revolution. Bis jetzt sind es vor allem Chiphersteller, Betreiber von Infrastruktur für KI und Software-Schmieden, die vom Boom profitieren – ähnlich der Verkäufer von Schaufeln zu Zeiten des Goldrausches.
Der amerikanische Ökonom Robert Gordon hat eine grundsätzlichere Kritik und stellte bereits vor mehr als zehn Jahren die ketzerische Frage: Kann man eher auf ein Smartphone oder auf ein Wasserklosett verzichten? Gordon ist davon überzeugt, dass die Zukunft auch nicht mehr das ist, was sie einmal war. Sanitäranlagen hätten das Leben verändert, ein Smartphone sei aber nur eine handlichere Form von dem, was bereits existierte.
Dies lässt sich auch in den Zahlen zur Arbeitsproduktivität ablesen: Obwohl es den Anschein hat, dass immer mehr erfunden wird, haben sich über die Zeit die Produktivitätsfortschritte abgeschwächt. Gerne wird auch der Spruch des Wirtschaftsnobelpreisträgers Robert Solow von 1987 zitiert: «Man sieht das Computerzeitalter überall ausser in den Statistiken zur Produktivität.» Einige Jahre später stieg jedoch die Effizienz durch den Einsatz von Computern.
Trotz aller Widersprüche ist KI aber die grosse Hoffnung, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Neue Technologien benötigen Zeit, um sich durchzusetzen – jenseits des Hypes. Es wäre für die Volkswirtschaften fataler, wenn sich keine Produktivitätsfortschritte einstellen würden oder die Ängste überhand nähmen. Historisch gesehen haben sich die Befürchtungen zerschlagen, dass technischer Fortschritt zu Arbeitsplatzverlusten führt: Der Menschheit ist auf lange Sicht nicht die Arbeit wegen der Webstühle, Computer oder Roboter ausgegangen.
Im Gegenteil: Vielmehr wurden neue Jobs und neue Geschäftsmodelle geschaffen. Derzeit sind 60 Prozent der Beschäftigten in Berufen tätig, die es 1940 noch gar nicht gab. KI und Produktivitätsfortschritte können auch helfen, die Folgen einer alternden Gesellschaft wie einen Mangel an Fachkräften abzudämpfen. Strukturwandel führt jedoch zu individuellen Härten. Flexible Arbeitsmärkte und die Bereitschaft, neue Kompetenzen zu erlernen, sind deshalb gefragter denn je.
Gerald Hosp, Geschäftsführer von Zukunft.li. Der Text ist im Jahresmagazin von "Wirtschaft regional" am 3.1.2025 erschienen.