Der falsche Begriff der Energiewende
Zugleich: Noch nie sind in einem Jahr so viele Treibhausgas-emissionen ausgestossen worden. Der Hunger nach fossilen Brenn- und Treibstoffen nahm stark zu. Selbst der Abbau von Kohle, dem dreckigsten der fossilen Energieträger, erlebte einen historischen Höhenflug.
Angesichts dieser Zahlen klingt der Begriff der Energiewende schal. Für manche westliche Länder mag es zwar stimmen, dass der Konsum von Erdöl, Erdgas und Kohle seinen Höhepunkt erreicht hat und Energieformen, die frei von CO2-Emissionen sind, wichtiger werden. Weltweit trifft dies nicht zu. Eine Wende würde auch bedeuten, dass eine Energieform die andere ablöst. Ein Blick in die Geschichte der Energiewenden lässt aber daran zweifeln. Vielmehr sollte es die Geschichte der Energieergänzungen heissen. So überholte Erdöl Kohle als dominanten Primärenergieträger in den 1950er-Jahren. Dennoch wird mehr Kohle als damals verbrannt.
Der Begriff der Energiewende suggeriert ausserdem, dass es die eine grosse Lösung für die Energieprobleme gibt. Dies führt dazu, dass sich die Diskussion verengt. Selbst diejenigen, die von Technologieoffenheit sprechen, fordern meist nur Offenheit für die Lösung, die sie bevorzugen. Die derzeitige Energiewende ist dermassen einzigartig und schwierig, weil sie keine Energieergänzung sein soll. Die fossilen Brenn- und Treibstoffe, die immer noch mehr als 80 Prozent der Primärenergie ausmachen, sollen ausgemerzt werden. Frühere Energiewenden waren vor allem ökonomisch getrieben: Die aufstrebende Energieform war effizienter und setzte sich über die Jahrzehnte durch. Jetzt wird die Energiewende politisch bestimmt und aufs Tempo gedrückt.
Es liegt aufgrund der Zahlen zum Energiekonsum aber auf der Hand, dass das Pariser Klimaziel einer Erwärmung von maximal 1,5 Grad Celsius nicht mehr erreicht werden kann. Weiterhin wird es wichtig sein, die Emissionen zu reduzieren. Am besten mit einem einheitlichen CO2-Preis, der kohlenstofffreie Energieformen fördert. Es heisst aber auch, dass sich vor allem kleinere Länder darauf vorbereiten müssen, mit dem Klimawandel zu leben. Durch Warnsysteme, Dämme gegen Überschwemmungen oder Schutzwälle gegen Bergstürze. Auch das lässt sich aus einer nüchternen Energiestatistik herauslesen.
Gerald Hosp, designierter Geschäftsführer der Stiftung Zukunft.li